Für die Stadt Marburg und den Verein JUKO Marburg fotografierte ich die Kampagne „Gesicht zeigen! Weil Partnergewalt alle angeht“
Der Fotoshoot war mir ein ganz persönliches Anliegen und ich hoffe, dass dieser Artikel auch etwas dazu beiträgt ein Zeichen zu setzen, deshalb gibt es hier ein eigenes Statement gegen Partnergewalt parallel zum eigentlichen „making of“.
Mein Statement gegen Partnergewalt.
Das Shooting wurde übrigens von einem Team des ZDF begleitet, und ist in der Sendung Plan B am 21.11.2020 zu sehen. -> Auch online in der Mediathek
Mehr Hintergründe zur Kampagne findet ihr hier:
Making off
Ich arbeite bei Aufträgen wie diesem eher wie eine Agentur als wie ein Fotograf. Vielleicht wäre auch der Begriff Coach passend. Es ist kein Auftrag bei dem das Konzept bereits feststeht und ich lediglich die Fotos erstelle. Auch keiner, bei dem ich mit einem kompletten Konzept beauftragt werde. Viel eher gibt es gemeinsame Brainstorming-Termine, und ich versuche den Kreativprozess auf ein gutes Ergebnis hin zu moderieren.
Meine Erfahrung ist, das viele Agenturen gerade im sozialen Bereich nicht ausreichend die Perspektive des Auftraggebers einnehmen können. Sie erhalten einen Grundstock an Informationen und bauen darauf ihre Konzepte, die dann oft überraschend sein können, handwerklich vielleicht perfekt aber eine Message beinhalten die das Ziel verfehlt.
Mir ging es von Anfang an darum, mit den Auftraggebern auf Augenhöhe zu reden und den Kreativprozess zu begleiten. Ich glaube nicht dass jemand wie ich durch Studium oder Berufserfahrung im Kreativen die besseren Ideen hat als Menschen aus anderen Bereichen. Der Vorteil den ich aus dem Beruf habe, ist die Erfahrung kreative Prozesse zu begleiten, Ideen zu präzisieren, Diskrepanzen oder Überladung in der Darstellung auszusortieren und die Darstellung zu präzisieren. Das beschleunigt den Prozess und hilft in der richtigen Richtung nach Ideen zu suchen. Mit Brainstromingtechniken habe ich die Meetings begleitet und in erster Linie versucht viel zuzuhören.
Ich hatte dabei auch mehr als genug ungewöhnliche Ideen, teils mit starken visuellen Metaphern im Kopf, die aber einige Aspekte der Botschaft verändert hätte. Das einzig Richtige ist an dieser Stelle solche Ideen zu verwerfen und das Umzusetzen was wirklich der Message dient, auch wenn mir als Künstler das Ungewöhnlich mehr Spaß bereiten würde.
Es war ganz klar dass es nicht darum ging eine Täter Opferrolle darzustellen, oder mit Stereotypen aufzufahren. Das Ergebnis war keine extravagante Kampagne, aber eine starke Kampagne, die vom Ausdruck der teilnehmenden Personen lebt.
Wir einigten uns darauf, jeweils eine Person zentral im Vordergrund – eine*n Botschafter*in gegen Partnergewalt – zu zeigen und dann im Hintergrund eine Szenerie, die zur Hauptfigur passt.
Dazu zeichnete ich Storyboards, wofür ich mir nicht bei jedem Fotoauftrag die Zeit nehme. In diesem Fall war mir eine starke Komposition wichtig um visuell so klar zu sein, dass nichts von dem Ausdruck der Hauptfigur ablenkt.
Wir einigten uns auf ein Hauptmotiv bei dem im Hintergrund ein spezieller, sehr dynamischer Rugbymove, der „Lineout erfolgen sollte.
Dazu sollte es einzelne Bilder geben, die sehr nah und plastisch, als Impressionen von Kraft und dem Rauhen in diesem Sport dienen sollten. Diese waren als Einzelbilder für social media vorgesehen, eventuell auch als Ergänzungen im Hauptmotiv.
Mit den Storyboards hatte außerdem die Designabteilung einen Vorlauf bevor die Fotos erstellt waren.
Der Shoot:
Es war früh in der Vorplanung klar, dass der Shoot vom Fernsehen begleitet wird. In solchen Situationen besteht etwas die Gefahr, dass Fotoshoot und Dreh miteinander konkurrieren, deshalb gab es von Anfang an eine enge Kommunikation mit dem Filmteam. Ich habe alle Informationen aus den ersten Ortsbegehungen an das Team weitergeleitet und etwas genauer als üblich eine Tagesdissposition verfasst. Diese enthielt genaue Informationen:
Wann wird aufgebaut; wann gedreht, wer holt wann, wo da Equipment ab; wo sind Parkplätze, Stromanbindung; wie sind die Lichtverhältnisse?; Wann geht die Sonne unter? etc.
Damit hatten alle Beteiligten den gleichen Informationsstand.
Solche Planungen sind der eigentliche Arbeitsanteil der später die Qualität ausmacht. Ich denke dieser Orga-Anteil wird gerne übersehen, Aber jedes Shooting ist Teamplay und alles was vor Ort geplant werden muss, nimmt Aufmerksamkeit vom eigentlichen Ziel.
Die Rugby-Union arbeitete sehr engagiert mit und zu sehen dass sie hinter dem Projekt stehen hat mich noch einmal zusätzlich motiviert. Der Shoot fand nach Dämmerung statt und obwohl es eine große Flutlichtanlage gab, war klar, dass das Licht nicht ausreichen würde um in schnellen Bewegungen scharfe Bilder zu produzieren. Ich brachte insgesamt 6 starke Blitze mit ans Set und testete am Vorabend zahlreiche Farbfilter an einer Schaufensterpuppe um den optimalem rauhen Look zu finden.
Zu Beginn des Aufbaus regnete es in Strömen, genau die Bedingungen, die wir uns für den eigentlichen Shoot gewünscht hätten. Ich bekam vom Kunden 2 Assistent*innen gestellt, die mitgeholfen haben. Wir bauten das Set unter einem kleinen Pavillion auf. Weil parallel das Fernsehen drehte, hatten wir eine kleine Signalleuchte wann wir shooten, damit niemand durch das Bild läuft. Die Hauptarbeit bestand darin die Blitze gegen Wasser und den starken Wind zu sichern.
Währenddessen sprachen Mitarbeiter*innen von Stadt und Juko noch einmal mit den Sportler*innen über das Thema des Shootings.
Das Shooting begann mit den Hauptfiguren und ich versuchte mit Suggestionen eine passende Atmosphäre aufzubauen.
Beispielsweise: „Stell dir etwas vor das dir unglaublich wichtig ist, für dich persönlich oder für deine Werte und vor der steht jemand der dir das wegnehmen will, oder etwas tun das absolut falsch ist. Und dafür muss er an dir vorbei. Du baust mit deiner Haltung eine starke Mauer dagegen auf.“
Es ist aus Regiesicht viel sinnvoller und effektiver ein Bild aufzubauen durch dass Darsteller*innen von Innen heraus eine Haltung einnehmen oder Emotion zeigen als eine Anweisung zu geben.
Um das ganz zu verstärken, hielt Janis Löwe, der die Kampagne von Seiten der Stadt organisierte (Danke für den ganzen Einsatz über den gesamten Tag) einen Rucksack als Hindernis vor sich und die Darsteller*innen mussten diesen vor jedem Shoot mit voller Kraft wegdrücken. Das veränderte die Körperspannung im Bild enorm.
Der restliche Shoot bestand viel daraus Bewegung einzufangen. Hier rückte mein Augenmerk stark auf das Licht und die Komposition. Einige Bewegungen wie der Try, also das werfen mit dem Ball auf den Boden waren sichtlich anstrengend und ich ziehe meinen Hut davor dass die Spieler*innen hier vollen Einsatz gegeben haben.
Wegen der schlechten Witterung zog sich der Shoot dann doch in die Länge. Die Spieler*innen hatren bereits ein komplettes Training hinter sich und man merkte wie die Energie nachließ. An solchen Stellen ist es wichtig flexibel zu sein und alle informiert zu halten wann es bei einem Umbau weitergeht. Die Assistenz hat das hervorragend umgesetzt, und ich kann nur immer wieder feststellen wie wichtig es ist auch bei Fotoshooting dieser Größe eine Setleitung zu organisieren.
Moment… und was war nun mit dem Fernsehen?
Ich kann als großes Kompliment sagen, dass sich das Team sehr im Hintergrund gehalten hat und ich meinen Auftrag völlig ungestört ausüben konnte.
Und man hat stark gemerkt, dass sie die Kampagne und die Arbeit von Juko und Stadt sehr ernst genommen und respektiert haben.
Plan B ist ein engagiertes Format. Es zeigt wo ein Umdenken passiert, wo Menschen und Organisationen Gegebenheiten, wie hier die Partnergewalt, anders angehen als es allgemein üblich ist. Ein Magazin das umdenken lässt, differenzieren und gerade in Zeiten wie diesen auch Hoffnung macht.
Mit Eva Münstermann hat den Dreh eine Authorin mit internationaler Erfahrung begleitet die denke ich viel Tiefe und Gespür in die Reportage gebracht hat. Also noch einmal meine Empfehlung: Samstag den 21.11.2020 17:35 auf ZDF, oder in der ZDF Mediathek.
Die Kampagne wurde inzwischen stadtweit auf Plakaten, Leinwänden und im Web geschaltet. Infos gibt es hier:
Bilder making off
fertige Bilder
Statement
Ich glaube wir als Gesellschaft tendieren dazu Probleme zu ignorieren die wir nicht sehen können, und ich bin dabei keine Ausnahme. Häusliche Gewalt ist in unserer Wahrnehmung auf Sätze und Begriffe, ja auf Konzepte reduziert, und so wie der französische Philosoph Henrie Bergson sagte „Konzepte sind das tote Laub der Intuition“, würde ich sagen sie sind auch das tote Laub der Empathie. Schwierige Themen bringen uns in Verlegenheit. In Verlegenheit um die richtige Reaktion, unsere Rolle darin und wir gehen auf Distanz.
Ich wusste die meiste Zeit meines Lebens, dass Menschen in meinem Umfeld Gewalt erfahren haben, und ich wusste, dass sie auch Jahrzehnte danach noch darunter litten. Aber ich hatte, obwohl ich ein empathischer Mensch bin keine Vorstellung was das genau bedeutet.
Dann besuchte ich eines Tages mit der befreundeten Fotografin Stefanie Zophia Schulz (Schaut euch unbedingt ihre Reportage Duldung an) eine Ausstellung von Nan Goldin.
Die New Yorker Fotografin zeigt in einem unverblümten Blick häusliche Gewalt und andere schwierige Themen wie dem Aufkommen von HIV in dedn 80ern. Trotzdem kam die Tragweite nicht vollständig bei mir an. Auf dem Rückweg, es war tiefster Berliner Winter und Nacht, saß eine Frau barfuß in kurzen Kleid im Schnee. Ihr Gesicht war mit Schrammen und blauen Flecken übersäht, ihr Makeup von Tränen zerlaufen. Es war klar, dass sie das Opfer von massiver Gewalt geworden war. Wir kümmerten uns soweit wir konnten um sie und riefen mit ihrem Einverständniss die Polizei hinzu. Das Letzte, was ich von dieser Frau sah, war ihr Bild auf dem Rücksitz. Vorne saßen die Polizisten, in Organisation beschäftigt, einer am Funkgerät, der andere Notizen schreibend, dahinter hellte die Lampe am Dachhimmel ihre Schock erstarrten Gesichtszüge wir ein Spotlicht auf. Ich habe nie in meinem Leben so eine Einsamkeit gesehen und denke ich in diesem Moment begonnen zu verstehen, was häusliche Gewalt bedeuten kann.Dieser Moment hat sich jedenfalls tief in mein Gedächtniss gebrannt.
Es gibt Menschen, die sich aus solchen Momenten emporheben, sie Resilient überwinden.
Andere brauchen Jahre, Hilfe von Außen, vielleicht Therapie.
Ich glaube wir alle Betroffenen können etwas gegen diese Einsamkeit gebrauchen. Das sie gesehen werden, auch dass die Gesellschaft nicht den Blick asbwendet, es nicht hinnimmt was Ihnen passiert.
Ich bin froh in einer Stadt zu leben die viel Engagement zeigt, mit einem sehr gut aufgestellten Gleichstellungsrefferat und Vereinen wie der Juko Marburg, die unter Anderem Täterarbeit leisten, und damit den Ausüber*innen häuslicher Gewalt helfen die Ursachen unter Kontrolle zu bekommen, aber auch der Verein „Frauen helfen Frauen“, die Frauenhäuser, und Ärzt*innen die auf Bedürfnisse und Notwendigkeiten in solchen Situationen eingehen.
Vor einigen Jahren habe ich ein Interview mit Patric Steward gesehen, der über die posttraumatische Belastungsstörung seines Vaters sprach und was diese für seine Mutter und ihn an Folgen hatten. Es verdeutlichte mir: Es ist nicht immer eine einfache Willensentscheidung die häusliche Gewalt beendet.
Diese Themen sind wichtig und sie sind komplex und nur wenn wir ihnen Aufmerksamkeit schenken können wir als Gesellschaft die Lebensumstände und das Leid von Menschen verändern. Darum stelle ich mich gegen häusliche Gewalt und für den Dialog.
Christian Griese